Georg Rinnerthaler

Georg Rinnerthaler bei seiner Verhaftung am 12. März 1938 in Neumarkt. (Foto: Museum Fronfeste)

„Die Schutzhaft in Dachau hat [Georg Rinnerthaler] … noch widerstandsfähiger gemacht.“

Dieses Zitat stammt aus einem Brief des Salzburger Gauleiters Friedrich Rainer an den „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, Josef Bürckel vom Mai 1939. Wie konnte es dazu kommen, dass sich ranghöchste NS-Kreise mit einem renitenten politischen Gegner in der Flachgauer Gemeinde Neumarkt am Wallersee auseinandersetzen mussten? Es hatte in erster Linie damit zu tun, dass – wie der Fall Georg Rinnerthaler beispielhaft illustriert – die Initiative zur Verfolgung und Vertreibung politisch Andersdenkender während der NS-Herrschaft oftmals direkt von Menschen im eigenen Ort – auch NachbarInnen, Bekannten und in diesem Fall sogar Verwandten – ausging.

Leopold Figl, der später Bundeskanzler Österreichs wurde, war mit Rinnerthaler im KZ Dachau. (Foto: Museum Fronfeste)

Aber von vorne: Neumarkt am Wallersee war sehr früh ein nationalsozialistisches Agitationsgebiet. Bei der Landtagswahl 1932 erwies es sich als Hochburg der NSDAP, als fast 50 Prozent der Stimmen auf die nationalsozialistische Partei entfielen. Der in Neumarkt am Wallersee ansässige Gastwirt und Fleischhauer Georg Rinnerthaler (*1882) war mit Barbara Karl verheiratet, sie hatten vier Kinder. Als Christlichsozialer und zur Zeit des Austrofaschismus Amtswalter der Vaterländischen Front stand Rinnerthaler in Gegensatz zu der 1933 verbotenen, terroristischen NS-Bewegung.

Am 14. Jänner 1934 wurde ein Papierböller vor Rinnerthalers Gasthaus zur Explosion gebracht und dadurch eine Fensterscheibe des Gebäudes zertrümmert, zwei Tage später explodierte ein weiterer Papierböller vor der Haustür Rinnerthalers. Diese Anschläge waren nur der Auftakt für eine ganze Serie nationalsozialistischer Gewaltakte in Neumarkt. Einen im Ort und medial Aufsehen erregenden Ehrenbeleidigungs-Prozess gegen die von Rinnerthaler vermuteten Anstifter dieser Anschläge konnte Rinnerthaler in zweiter Instanz und mit Rückendeckung des Salzburger Landeshauptmanns schließlich für sich entscheiden.

Unmittelbar nach der NS-Machtübernahme wurden in einem Racheakt Georg Rinnerthaler und sein Sohn Johann verhaftet. Führend involviert war hier pikanterweise Matthias Karl, der Neffe Rinnerthalers. Der von der Familie betriebene Gasthof und die Fleischhauerei wurden im Namen der Neumarkter NSDAP-Ortsgruppe gesperrt. Diese beantragte außerdem mit Erfolg, dass beide zu einer Haft im KZ Dachau verurteilt wurden. Infolge der Amnestie zum Jahrestag des „Anschlusses“ wurden sie nach Bemühungen der Ehefrau Rinnerthalers mit Unterstützung des Salzburger Gauleiters Friedrich Rainers im März 1939 entlassen.

 

Georg Rinnerthaler (3. von links) saß mit Leopold Figl (2. Von links), der später Bundeskanzler Österreichs wurde, im KZ Dachau. (Foto: Museum Fronfeste)

Die Rückkehr Georg Rinnerthalers sorgte bei den Neumarkter Nazis allerdings für gewaltigen Unmut: Bereits in der Nacht seiner Rückkehr schlugen Neumarkter Nazis 51 Fensterscheiben ein und warfen Kohlen ins Haus. Sie forderten von Rinnerthaler, der die Fleischhauerei und die Gastwirtschaft nun wieder weiter betreiben wollte, den Ort umgehend zu verlassen und seinen gesamten Besitz an den Nationalsozialisten Fritz Gerbl zu verkaufen, ansonsten würden sie sofort die erneute Überstellung in das KZ Dachau veranlassen. Binnen kürzester Zeit erregte der Fall die Aufmerksamkeit höchster NS-Kreise: Gauleiter Rainer forderte den Neumarkter Ortsgruppenleiter auf, derartige Aktionen sofort einzustellen. Doch die Schikanen hörten nicht auf. Die lokalen Nazis schafften es schlussendlich mit Unterstützung des Gauleiters tatsächlich, dass Rinnerthaler Neumarkt verlassen musste. Die vehement eingeforderte Enteignung seines Besitzes gelang ihnen allerdings nicht, aber Rinnerthaler sah sich gezwungen, ihn an Gerbl zu verpachten – einen anderen Pächter ließen die Neumarkter Nazis nicht zu.

Der Fall Rinnerthaler ist somit ein Beispiel dafür, dass lokale Parteimitglieder oft im Gegensatz zu höheren Stellen standen und mitunter deutlich radikalere Positionen vertraten und „enttäuscht“ waren, dass sie nicht einfach drauf losschlagen und alles an sich reißen durften. Dennoch hatten sie Erfolg: Rinnerthaler sah sich gezwungen, im Juni 1939 ins bayrische Freilassing zu übersiedeln. Nach der Befreiung kehrte er nach Neumarkt zurück. Warum er sich das antat, sei dahingestellt.

Das in Österreich allseits bekannte Schweigen übertünchte nach 1945 die vormalig persönlichen, vermeintlich politisch motivierten, mit Gewalt ausgetragenen Konflikte. Eine der Folgen war, dass der zuvor genannte Matthias Karl, der Wirt des „Karlbräus“ und NS-Bauernführer, noch 2008 in einer Schrift zu seinem 100. Geburtstag völlig unkritisch als „Neumarkter Original“ gewürdigt wurde. Ist Georg Rinnerthaler auch ein „Neumarkter Original“?

Broschüre Rinnerthaler

Das Textheft zur historischen Aufarbeitung