Die kommunistische Widerstandskämpferin Agnes Primocic steht im Mittelpunkt des zweiten Erinnerungsprojekts
Im Rahmen des Projekts “Orte des Gedenkens” wird der zweite Erinnerungsort an den Widerstand gegen das NS-Regime in Hallein im Salzburger Tennengau umgesetzt. Der temporäre Gedenkort soll an die kommunistische Widerstandskämpferin Agnes Primocic erinnern, die mit ihrem Mut mehr als 17 bereits zum Tode verurteilte KZ-Häftlinge vor der Erschießung rettete. Primocic engagierte sich für die Rote Hilfe, eine im Untergrund agierende Hilfsorganisation für die Familien von politisch verfolgten Linken.
Das Land Salzburg errichtet in jedem politischen Bezirk Salzburgs einen Gedenkort, der an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus erinnern soll. Geleitet wird das Projekt von der Arbeitsgemeinschaft „Orte des Gedenkens“, der die Kunsthistorikerin Hildegard Fraueneder und die Historiker Albert Lichtblau und Robert Obermair angehören. Hallein wird nach Neumarkt am Wallersee die zweite Gemeinde, in der neben einem temporären Kunstprojekt auch die Biografie der Betroffenen und die verschiedenen Formen des Widerstandes historisch aufgearbeitet werden. Das Projektteam arbeitet in Hallein eng mit dem Keltenmuseum Hallein, dem Kunstraum Pro Arte und der Gemeinde zusammen.
Die dreifache Mutter Agnes Primocic wurde wegen ihres politischen Engagements von der Gestapo mehrfach verhört und inhaftiert. In einem Steinbruch etwa drei Kilometer außerhalb von Hallein befand sich ab 1943 ein Nebenlager des KZ Dachau. Im Sommer 1943 verhalfen Primocic und andere dem internierten späteren Organisator der Partisanengruppe Willy-Fred, Sepp Plieseis, zur Flucht aus dem Lager, in dem sie Lebensmittel, Zivilkleider, eine Waffe und eine Landkarte für ihn organisierten. Im April 1945 vor Kriegsende konnte Primocic mit einer List, 17 Gefangene, die erschossen werden sollten, aus dem Lager befreien. In einer Rotkreuzuniform suchte sie den Kommandanten des Lagers auf, um ihn zur Freilassung der Häftlinge zu bewegen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Primocic weiter politisch vielfältig aktiv und saß für die KPÖ im Halleiner Gemeinderat. Als Pensionistin besuchte die aktive Zeitzeugin Schulklassen, um die Erinnerung wach zu halten. Die Halleinerin wurde 102 Jahre alt und verstarb im April 2007. „Die Zeitzeugin Agnes Primocic war weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt. Sie trat resolut mit viel Überzeugungskraft auf und stellte immer wieder sehr direkte Fragen an die Menschen, die ihr begegneten“, sagt der Historiker Albert Lichtblau. „Viele kannten sie in Hallein noch persönlich, aber für die jüngeren Generationen ist sie lediglich aus Erzählungen bekannt, wenn überhaupt.“ Das Projekt soll dabei helfen, die Erinnerung an sie und das Wirken des Widerstandes in Hallein zu erneuern.
Fünf Künstler*innen (Catrin Bolt, Kathi Hofer, Ana Hoffner, Thomas Hörl, Esther Strauß) wurden zum Wettbewerb für den Gedenkort in Hallein eingeladen, der von der Geschäftsstelle des Fonds zur Förderung von „Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum“ administriert wird. Die eingereichten Konzepte werden von einer fünfköpfigen Jury beurteilt, im September 2022 soll die oder der Sieger*in gekürt werden. In der Jury sitzen Künstlerinnen, Historiker, sowie Vertreter des Landes und der betreffenden Gemeinden. Der zweite Erinnerungsort soll dann im Mai 2023 in der Stadt Hallein eröffnet werden.
Temporäre Kunstprojekte gehen von einer lebendigen, sich immer wieder überschreibenden Gedenkkultur aus. Jede Generation hat ihre eigenen Fragen an die Vergangenheit. „Künstlerisch gestaltete Erinnerungsprojekte sollen weder belehren noch eine erstarrte Gedenkstätte kreieren, vielmehr zeitliche Bezüge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herstellen und zu vielfältigen Erfahrungen anregen“, sagt die Kunsthistorikerin Hildegard Fraueneder. „Mit den Realisierungen können die Erfahrungen von damals in ein kulturelles Gedächtnis der Nachwelt übersetzt und für Zukunftsfragen geöffnet werden.“
Warum Hallein?
Die Wahl für den Ort Hallein fiel aus mehreren Gründen: „Es ist einer der Orte, die durch Platzbenennungen sehr früh an die Widerstandskämpfer*innen erinnerte“, sagt Lichtblau. „Immer wieder wurden auch Initiativen ergriffen, um an die NS-Ortsgeschichte zu erinnern.“ Das Engagement des Historikers Wolfgang Wintersteller trug wesentlich dazu bei, dass in Hallein die lokale Geschichte des Nationalsozialismus bekannt wurde. Die Bereitschaft und das Interesse der Gemeinde und Institutionen, in diesem Fall das Keltenmuseum, an dem Projekt waren Grundvoraussetzungen für die Ortswahl.
Zudem ist es der Arbeitsgemeinschaft „Orte des Gedenkens“ wichtig, in der Zusammenschau der sechs Bezirke Salzburgs unterschiedliche Aspekte des Widerstands zu thematisieren. Nach dem christlich-sozialen Georg Rinnerthaler in Neumarkt am Wallersee sollte dem Widerstand der Frauen Rechnung getragen und das für den Widerstand wichtige politische Milieu der Linken bzw. Kommunist*innen berücksichtigt werden. Rund um die Geschichte der Kommunistin Agnes Primocic können andere Geschichten des Widerstands berücksichtigt werden, etwa jene von Josefine Lindorfer, die sich wie Primocic für die Rote Hilfe engagierte. Josefine Lindorfer, nach ihr ist einer der erwähnten Plätze benannt, wurde wegen einer Kleinstspende in das KZ Auschwitz 1942 deportiert und kam dort im selben Jahr ums Leben.
Das Gesamtprojekt
Zur Erinnerung an die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer in Salzburg errichtet das Land Salzburg in sechs Jahren in jedem politischen Bezirk einen Gedenkort. Das Konzept der Arbeitsgemeinschaft „Orte des Gedenkens“ beruht auf drei Säulen: historische Aufarbeitung, künstlerische Intervention und Vermittlungsarbeit. Zum Vermittlungsprogramm gehören öffentliche Veranstaltungen rund um die Thematik, aber auch in Kooperation mit _erinnern.at_ konzipierte Workshops an Schulen, Bildungsstätten oder mit NGOs bzw. Kulturinitiativen, die sich entlang der für den Gedenkort gewählten Biographie mit autoritären und totalitären Systemen, mit Widerstand und Zivilcourage befassen. Damit werden unterschiedliche Denkräume eröffnet und verschiedene Gruppen angesprochen. Die künstlerische Intervention und die historische Recherche bleibt dabei zentraler Ausgangspunkt für diese Aktivitäten.
Geleitet wird das Projekt von der Arbeitsgemeinschaft „Orte des Gedenkens“, der die Kunsthistorikerin Hildegard Fraueneder und die Historiker Albert Lichtblau und Robert Obermair angehören. Das Land Salzburg stellt für das Gesamtprojekt 100.000 Euro pro Jahr zur Verfügung. Die temporären Kunstprojekte werden in Kooperation mit dem „Fonds für Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum“ des Landes Salzburg durchgeführt. Nach der Eröffnung wird das Thema auch in mehreren Diskussionsabenden, Veranstaltungen und Workshops in der Gemeinde weiter beleuchtet.