Gedenkort in Neumarkt mit Kunstaktion „Einwurf“ eröffnet

Neumarkt am Wallersee wird ein Jahr lang zum Erinnerungsraum an den widerständigen Georg Rinnerthaler

Bei der Eröffnungsfeier in Neumarkt am Wallersee ist am Samstagnachmittag der erste temporäre Erinnerungsort im Rahmen des Projekts „Orte des Gedenkens“ eröffnet worden. Das Land Salzburg errichtet bis zum Jahr 2026 in jedem politischen Bezirk Salzburgs einen Gedenkort, der an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus erinnern soll.

Im Mittelpunkt der Eröffnung stand die Aktion „Einwurf“ des bildenden Künstlers Bernhard Gwiggner, die an den widerständigen Georg Rinnerthaler erinnert. Der Gasthausbesitzer und sein Sohn wurden im Zuge des „Anschlusses“ Österreichs an das „Deutsche Reich“ im März 1938 verhaftet und ein Jahr im KZ Dachau interniert. Bereits in der Nacht seiner Rückkehr nach Neumarkt im März 1939 schlugen örtliche Nationalsozialist*innen 51 Fenster seines Hauses ein.

Dieser Gewaltakt wurde bei der Kunstaktion erfahrbar gemacht. Die Teilnehmer*innen warfen angefertigte Fenster mit Steinen ein. Wobei jeweils einmal die Position der Täter*innen und der Opfer – also einmal vor und hinter der Glasscheibe – eingenommen wurde. Eine Szene von der Verhaftung Rinnerthalers, überblendet von einem eingeschlagenen Fenster, ist als zentrales Motiv zudem an mehreren Stellen im Ort zu sehen – etwa auf Fahnen vor dem Stadtgemeindeamt und Plakatständern an der Stadteinfahrt.

Mit dem Eröffnungstag ist die künstlerische Intervention im Ort noch nicht beendet. Über ein Jahr verteilt finden Diskussionsveranstaltungen zum Thema statt, bei denen im Vorfeld weitere Einwurf-Aktionen durchgeführt werden. In der Rinnerthaler-Passage werden dann nach und nach die 51 eingeschlagenen Fenster präsentiert.

Eine wesentliche Rolle soll auch die Bevölkerung von Neumarkt spielen. Gwiggners Motiv wird auf Transparentfolie vervielfältigt. „Die Idee ist, dass die Menschen die Folien in ihre Fenster geben und dadurch der ganze Ort zum Erinnerungsraum wird“, sagt der Künstler. Gwiggners aktionistische Idee ging als Siegerprojekt eines Wettbewerbs, zu dem acht Künstler*innen geladen waren, hervor.

„Die Gewaltereignisse des 20. Jahrhunderts sind bis heute schwer zu fassen und zu begreifen. Gerade deshalb sind lokale Aufarbeitungen so wichtig, um zu erkennen, was in unserer unmittelbaren Nähe geschehen ist“, betonen Landesrätin Andrea Klambauer (Neos) und Landeshauptmann-Stellvertreter Heinrich Schellhorn (Grüne). „Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur kam in Österreich erst in den 1980er-Jahren in Gang. Auch danach blieb es schwierig, besonders auf lokaler Ebene, offene Diskussionen zu führen. Denn Täter und Opfer waren häufig Nachbarn, Verwandte, engere Familienmitglieder. Die jüngeren Generationen können nun unbelasteter und genauer auf diesen Abschnitt der Geschichte blicken. Darin besteht eine große Chance, um zu erinnern, zu verstehen und Künftiges zu verhindern. Dieses Erinnerungsprojekt leistet dazu einen wesentlichen Beitrag.“

Für die musikalische Umrahmung des Festakts sorgte das Electro-Post-Punk-Duo „Laut Fragen“.  Maren Rahmann und Didi Disko haben historische Texte des Widerstandes gegen Nationalsozialismus vertont.

Zentrales Motiv des Projekts „Orte des Gedenkens“ ist die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. „Mit Widerstand im Nationalsozialismus beschäftigen und nicht mitzudenken, dass auch heute Menschen wegen ihrer kritischen Haltung verfolgt, eingesperrt und hingerichtet werden, wäre verantwortungslos. Es geht uns nicht um ein rückwärtsgewandtes Erinnern, vielmehr um eine Sensibilisierung dafür, dass unsere Zivilgesellschaft einer permanenten Gefährdung ausgesetzt ist. Im Kern geht es um das Nachdenken darüber, wie wir zusammenleben wollen und was uns als Menschen und als Gemeinschaftswesen ausmacht“, betonte die Kunsthistorikerin Hildegard Fraueneder vom Projektteam bei der Eröffnungsrede.

Geleitet wird das Projekt von der Arbeitsgemeinschaft „Orte des Gedenkens“, der die Kunsthistorikerin Hildegard Fraueneder und die Historiker Albert Lichtblau und Robert Obermair angehören. Die Arbeitsgemeinschaft arbeitet eng mit Ingrid Weese-Weydemann vom Museum Fronfeste, der Gemeinde Neumarkt und Bürgermeister Adolf Rieger (ÖVP) zusammen. Die temporären Kunstprojekte werden in Kooperation mit dem „Fonds für Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum“ des Landes Salzburg durchgeführt.

Der nächste temporäre Gedenkort wird im kommenden Jahr im Salzburger Tennengau in Hallein verwirklicht. Er soll an die kommunistische Widerstandskämpferin Agnes Primocic erinnern, die mit ihrem Mut mehr als 17 bereits zum Tode verurteilte KZ-Häftlinge, darunter den späteren Halleiner Polizeichef, vor der angeordneten Erschießung rettete. Primocic engagierte sich für die Rote Hilfe, eine im Untergrund agierende Hilfsorganisation für politisch verfolgte Familien.

Neben den künstlerisch gestalteten Erinnerungsorten werden die Biografien der Betroffenen und die verschiedenen Formen des Widerstands historisch aufgearbeitet und mit einem Vermittlungsprogramm für Schüler*innen begleitet. Nach der Eröffnung wird das Thema auch in mehreren Diskussionsabenden und Workshops mit Jugendlichen in der Gemeinde Neumarkt weiter beleuchtet. Vor den Veranstaltungen findet um 18 Uhr am Platz vor dem Kriegerdenkmal jeweils wieder die Kunstaktion „Einwurf“ von Bernhard Gwiggner statt.

Rückfragehinweis:

Stefanie Ruep, Pressekoordination Orte des Gedenkens
office@ortedesgedenkens.at
Tel: +43650/8312976

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